Unterwegs auf der Engadiner Haute Route

Großer Ski-Weg in den Albula-Alpen bei St. Moritz


Die Engadiner Haute Route ist einer der schönsten Skiwege im Schweizer Hochgebirge. Sie beginnt beim Julier Pass, in der Nähe von Sankt Moritz, und führt durch die Graubündener Berge um den Piz Kesch ostwärts zum Flüela Pass. Dabei bleibt die Skitour zumeist in Höhen über 2000 m und hat wegen ihrer Nähe zu Italien immer wieder sonnige Tage mit Wind und gutem Schnee zu bieten.

So sind wir als kleine Skitouren-Gruppe Ende März unterwegs vom Julier Pass durch das verschneite Val d' Agnel. Morgens auf der Anreise haben wir ein Fahrzeug in Davos am Bahnhof abgestellt und das zweite Fahrzeug steht nun unter uns am Julierpass. Langsam schieben wir die Tourenski mit den auf den Belag geklebten Sktiourenfellen Schritt für Schritt voran und gewöhnen uns an die 15-20 Kilo schweren Rucksäcke auf unseren Rücken. Für die Tour haben wir einen Halbseil zum Sichern dabei sowie Steigeisen und das notwendige Sicherungsmaterial. Die Navigation erfolgt heutzutage mittels Handy mit geeigneter App, wie beispielsweise Alpenvereinsaktiv.com und zusätzlich offline gespeicherten Schweizer Karten, die zuhause bereits auf das Handy heruntergeladen wurden. Auch ein GPS-Gerät als backup und für Notfälle ein Kompass sind noch mit dabei. Aber heute haben wir beste Sicht und einzig wegen der Lawinen-Gefahrenstufe 3 gemäß Lawinengefahrenbericht halten wir uns etwas entfernt von den an den Seiten aufsteigenden Wänden des Tals.



Am kommenden Morgen geht es dann durch die zeitweise steile Schneeflanke quer hinüber zum Gletscher Vadret Laviner. Über die Gletscherzunge geht es in etwa 2 Stunden hinauf zum Fuorcla Laviner in 2992 m Höhe. Wir haben Glück und der Felsgipfel des Piz Laviner mit 3137m liegt in der Sonne. Deswegen starten wir mit Steigeisen über den eisigen Nordgrat hinauf zum Gipfel.  Zur Sicherung haben wir die Gurte angelegt und sichern mit dem Seil über Zwischensicherungen mittels Schlingen an Felsköpfen. Nach diesem ersten Abenteuer wollen wir dann 1250 Höhenmeter hinunter durch das Val Mulix nach Preda mit den Skiern abfahren. Zu Beginn des Val Mulix müssen wir uns gut orientieren, da es hier mehrere scheinbare Einfahrten in verschiedene Täler gibt, aber nur ein Tal leitet in die richtige Richtung. Die Abfahrt durch das Val Mulix dauert fast 1 Stunde und bietet viel Abwechslung. Zu Beginn ist es ein breites, etwas flacheres und gleichzeitig unübersichtliches Hochgebirgstal zwischen den 3000ern im Umfeld bis man dann an der Oberkante einer Steilstufe anlangt. Von dort geht es etwa 100 m einen 40° steilen Schneehang hinunter, wo jeder von uns Skifahrern auf seine Kosten kommt. Durch das lange Tal hinaus gelangen wir dann zu den ersten Baumbeständen und fahren dann über die verschneite Forststraßen weiter hinab ins Albulatal zum Bergdorf Naz. Von dort geht es per Ski oder per Schweizer Bergbahn noch weiter hinunter nach Bergün, wo wir die nächste Übernachtung gebucht haben.



Skidurchquerungen sind spannend, weil man jeden Abend an einem anderen Ort übernachtet. Dadurch hat man das gesamte Gepäck für die Tourenwoche dabei, egal ob man aufsteigt oder mit den Skiern einen steilen Hang hinunterschwingt. Die andere Herausforderung ist, wenn man nicht einen Tag verlieren und gegebenenfalls die Reservierung auf den Hütten verlieren will, dass man auch bei durchwachsenem Bergwetter zur nächsten Berghütte kommen muss. Derartige Verhältnisse mit Wolken und Nebel in der Höhe und zeitweise leichtem Schneefall hatten wir auf der nächsten Etappe von Bergün zur Chamanna d`Es-cha. Zunächst einmal sind wir von Bergün mit den Liften bis zum Piz Darlux auf 2600 m hochgefahren. Wegen der Wolken und der schlechten Sichtverhältnisse sind im Skigebiet nur wenig Skifahrer unterwegs. Die Spannung steigt als wir etwa in 2 Stunden über den schmalen und verhältnismäßig ausgesetzten Grad hinüber zur Tschimas da Tisch auf 2871 m Höhe hinaufsteigen. Da wir uns über lange Strecken in den Wolken befinden, kann man nur erahnen, dass die Flanken steil in Richtung des Albu-Tals abfallen. Der Weg entlang des Grates mahnt zur Vorsicht, so dass wir streckenweise die Skier auch auf den Rucksack festschnallen und am Kamm entlang spuren. Alle sind konzentriert und man ist schweigsam am Grat unterwegs bis wir plötzlich auf dem Schneegipfel oben ankommen. Bei der Pause am Gipfel sitzen wir bei ungewöhnlichen Lichtverhältnissen zwar noch im Nebel aber hell erleuchtet von der darüberstehenden Sonne und wir sind beeindruckt von dem bisherigen Verlauf entlang des Felskamms bei diesen Verhältnissen.


Vom Gipfel geht es in einer Flanke steil hinab auf den Gletscher. Die Sicht ist wieder schlecht, sodass wir unser nächstes Ziel bisher immer noch nicht sehen konnten. Ich orientiere mich hier mehrfach und sehr genau, da ich keinesfalls auf der falschen Seite in eine Felswand hineinkommen möchte. Etwas unterhalb der Gruppe taste ich mich mit den Stöcken voraus und auf Skiern abrutschend in einen Steilhang hinein. Ich bin mir zwar sicher, dass es der richtige Weg ist, aber es ist aufregend, da man nur etwa 20 m nach vorne sieht und beim Skifahren auch noch die Richtung peilen muss. Endlich wird 300 m unterhalb des Gipfels die Sicht etwas besser und wir sehen das Gletschertal oberhalb des Murtel da Lai. Von da an können wir etwa 10 Minuten Skiabfahrt bis an den steilen Rand der Gletscher-Muräne genießen.  Am Ende folgt noch die Steilabfahrt durch eine Rinne zum Tal Grund.  Die Einfahrt in die Rinne muss gefunden werden und ich steh zwischendurch doch etwas unangenehm im Felsgürtel bis ich weiter links unten die richtige Stelle erkenne. Einzeln abfahrend, um beim Sturz die andere nicht mitzureisen, gelangen wir schließlich zum sicheren Talgrund.



Mittlerweile ist die Sicht besser geworden, wenn auch noch hohe Wolken und kalter Nebel das folgende lange Hochtal bedecken. Vom Murtel da Lai steigen wir auf den Tourenskiern in zwei unendlich erscheinenden Stunden hinauf zur Fuorcla Pischa und dort am Ende nochmals eine Flanke 100 m mit den Skiern auf dem Rücken ins Joch hinauf zu klettern. Kalt und windig ist es hier, obwohl wir vor uns schon die Chamanna d´Es-cha scheinbar auf gleicher Höhe und viel weiter im Osten wahrnehmen. Wir schwingen in das Tal hinein und halten uns aber am linken Talhang möglichst weit oben, um den Gegenanstieg zu Es-cha Hütte gering zu halten. Es ist eine atemberaubende Ski-Abfahrt durch das Hochgebirge und die Es-cha Hütte liegt einsam oben auf einem Felssporn, so dass wir die letzten Meter dann doch noch aufsteigen müssen. Die kleine bewirtete Berghütte ist eine der schönsten Hütten hier im Engadin. Neben uns ist lediglich eine zweite Gruppe mit Bergführer an diesem Tag heraufgekommen. Wir erleben einen richtigen Bergabend bei gutem Essen und Abenteuergeschichten in Hochgebirgsstimmung weit weg von der Zivilisation.



Der nächste Tag bringt uns auf den höchsten Punkt der Skitour auf den Piz Kesch. Nach langer Querung von der Es-cha Hütte entlang einer Bergflanke und einem kurzen steilen Aufstieg mit Seilsicherung gelangen wir in die Gletscherwelt unterhalb des Piz Kesch. Nachdem wir den Vadret de Porchabella, den Gletscher unterhalb des steil aufragenden Piz Kesch gequert haben, gelangen wir zum Skidepot. Von dort geht es ohne Ski, aber mit Steigeisen, Gurt und Seil zunächst die Eisflanke hinauf und dann wo möglich mit kurzen Sicherungsetappen die steile Flanke quer und weitere hinauf zum 3417m hohen Gipfel. Ich war schon mehrfach auf dem Piz Kesch, aber erlebe ihn diesmal mit dem eisigen, gepressten Firn in der Steilflanke als sehr unangenehm und vor allem der Abstieg hinunter braucht die volle Konzentration, da man bei diesen Schneeverhältnissen schlecht sichern kann. Bei anderen Schneeverhältnissen kann man besser an die hier angebrachten Borhaken herankommen und streckenweise mit dem Seil nachsichern.




Oben am Gipfel haben wir wunderbares Wetter und eine atemberaubende Aussicht in die weißen Berge der Albula- Alpen und zurück auf unsere Tour, wo wir die beiden letzten Tagesetappen gut sehen können. Auf der anderen Seite hinunter sehen wir schon unseren weiteren Skiweg hinab zur Kesch-Hütte, die in den letzten Jahren neu aufgebaut wurde und nun eine moderne Holzhütte mit viel Glas ist. Daneben steht immer noch die alte Steinhütte, die ich noch von meinen früheren Skitouren her kenne. Nachdem wir den heiklen Abstieg vom Piz Kesch zum Gletscher geschafft haben, schwingen wir bald schon mit voller Begeisterung im schönsten Sonnenschein etwa eine Stunde hinunter zur Kesch-Hütte über den Gletscher, wobei wir unterwegs noch Pausen zum Essen, freudigen Diskutieren und auch für ein paar Ausbildungsübungen einbauen. Am Abend werden wir vom Hüttenwirt empfangen und, da wir fast allein auf der Hütte sind, haben wir auch eine tolle Unterhaltung mit dem Hüttenwirt. Quasi als Anerkennung für die Skitour zu seiner Hütte überreicht er mir ein Shirt mit Bild von der Kesch-Hütte, worüber ich mich sehr freue.



Am folgenden Tag fahren wir von der Kesch-Hütte 400 Höhenmeter durch das einsame Hochtal hinunter zur Alp Funtauna, wo man auch in Richtung St. Moritz hinauskommen kann. Von diesem tiefgelegenen Talgrund steigen wir dann in 3 Stunden in das nächste Gletscherbecken hinauf zur Vadret Vallorgia unter dem Piz Grialetsch, der mit 3131m Höhe der nächste attraktive Gipfel wäre. Leider haben wir wieder einmal starke Bewölkung bei kaltem Wind und schlechter Sicht, so dass wir heute diesen Gipfel nicht angehen können. Vielmehr haben wir einiges zu tun, um über den Grialetsch -Gletscher auf der Rückseite des Berges hinunter zu finden.



Die Abfahrt bei Nebel ist eine Herausforderung. Man erkennt weder, ob es hinauf noch hinunter geht. Insofern hat der Vorausfahrende ein White-out ohne Kontraste vor sich und man fährt entweder sehr vorsichtig oder legt öfter Stürze mit dem schweren Rucksack in den Schnee. Sodass jeder auch einmal die Erfahrung mitnimmt, wechseln wir beim Abfahren die Position des Vorausfahrenden und es gibt immer wieder große Überraschungen hierbei, da man kaum einschätzen kann, ob es gerade im Schnee rauf oder runtergeht. Am Schluss steigen wir mit den Steigfellen unter den Skiern wieder hinauf zur Chamanna da Grialetsch, die uns mit ihren roten Fensterläden auf den letzten Metern entgegen leuchtet. Die Bewirtung hier ist etwas ruppig und auch hier sind in diesen Tagen nicht viel Skitouren-Geher vor Ort. Wir nutzen den Abend auf der Hütte für Bergsteiger-Gespräche und die weitere Tourenplanung. Am letzten Tag geht es dann von der Hütte gerade hinunter ins Grialetsch-Tal und durch dieses am Ende mit dem Bus hinaus nach Davos. Alternativ könnte man von hier auch über den Sasura-Pass ins Engadin abfahren und von Zernez mit dem Zug zurück nach St. Moritz fahren.





Insgesamt waren wir auf der Engadiner Haute Route sechs Tage im Hochgebirge unterwegs und sind über Berge und lange Gletscher sowie hohe Grate etwa 50 km im Schnee bei wechselndem Wetter unterwegs gewesen. Jede Etappe hat dabei tiefe Eindrücke der Einsamkeit hinterlassen, aber auch das Selbstbewusstsein, dass wir als Gruppe im Hochgebirge mit Navigation, den bergsteigerischen Herausforderungen und den Skiabfahrten gut zurecht gekommen sind.